Ein Talent lernt laufen – Grete Wendts Werdegang bis zur Firmengründung
Alles, was Du tatest, tatest Du um der Sache selbst willen. Auf ein Gedenkblatt schriebst Du mir einmal: Jeder Mensch ist in seinem Leben nicht das wert, was er hat, sondern das, was er der Welt nutzt. Selbstlose Hingabe an eine Sache, das war Deine Art. Deshalb warst Du geachtet und geliebt in diesen Bergen von allen, die guten Willens sind.
Grete Wendt über ihren Vater
Grete Wendts Vater Albert - genannt Pap Wendt oder Herr Direktor - begründet die enge Verbindung zwischen der Familie Wendt und Grünhainichen. 1884 tritt er in der kleinen Gemeinde eine Anstellung als Lehrer an der Staatlichen Fachgewerbeschule an. Später wird er hier Direktor. Mit seinem fortschrittlichen Geist trägt er dazu bei, dass Grünhainichen 1895 als vierter Ort Sachsens elektrifiziert wird.
Die Elektrizitäts-Centrale - Generatoren, verbunden mit einer Dampfmaschine - versorgt von nun an für die nächsten 30 Jahre Grünhainichen mit Strom. 15 Holzwarenhersteller sowie zwölf Verlagsgeschäfte nutzen bereits im ersten Jahr die neue Kraftquelle. Albert Wendt hatte ihnen technische Neuerungen ans Herz gelegt.
Es ist ein Zentrum der traditionellen erzgebirgischen Spielwarenherstellung an der Schwelle eines neuen Zeitalters, in das Margarete Wendt - genannt Grete - hineingeboren wird. Am 24. Februar 1887 kommt sie als viertes von insgesamt fünf Kindern von Albert und Hedwig Wendt in Grünhainichen auf die Welt. Zwei Geschwister - Fritz und Trudchen - sterben früh. So wächst Grete zwischen zwei Brüdern auf. Der Ältere, Curt, geht nach dem Studium als Ingenieur an die Kaiserliche Werft in Danzig. Später arbeitet er als Direktor der Abteilung Messinstrumente bei AEG Berlin. Der Jüngere, Johannes, sollte nach seiner Laufbahn als Marine-Ingenieur eine wichtige Rolle in Gretes Lebenswerk übernehmen…
Wenn Vater Albert die Schüler an der Fachgewerbeschule für Spielzeugmacher unterrichtet, wenn er dank neuer Arbeitsmittel und -methoden die Holzwarenherstellung voranbringt, ist Grete aufmerksam dabei. Hier lernt sie die Grundlage ihres Schaffens: technisches Verständnis, aus dem - gepaart mit Kreativität - eine einzigartige Formensprache wachsen wird. Albert Wendt hat früh die Liebe Gretes für das Basteln, Bauen, Zeichnen und Malen erkannt. Er fördert seine Tochter zielgerichtet, gibt neben handwerklichen Hilfestellungen auch Zeichenunterricht.
1906 vermittelt Albert Wendt die 19-jährige Grete nach Dresden. Im Atelier von Gertrud Kleinhempel und bei deren Brüdern, den Professoren Fritz und Erich Kleinhempel, bereitet sie sich mit Naturstudien auf die Königlich Sächsische Kunstgewerbeschule vor, die sie ab Januar 1907 besucht.
1910, noch im letzten Studienjahr, wird ein Gründervater der Deutschen Werkstätten für Handwerkskunst Dresden-Hellerau auf Grete Wendt aufmerksam. Der in Zschopau geborene Karl Schmidt beauftragt sie mit dem Entwurf einer Weihnachtskrippe für die Spielwarenabteilung. Die Spielwarenfabrik Heymann in der Erzgebirgsgemeinde Großolbersdorf, nicht weit von Grünhainichen, übernimmt für Hellerau die Fertigung.
Nach dem Studienabschluss holt Schmidt die junge Absolventin als Zeichnerin hauptsächlich für Möbel, aber auch Spielzeugentwürfe in seine Werkstätten. Hellerau ist auf dem Gebiet der modernen Raumgestaltung bahnbrechend - nicht nur als Werk-, auch als Denk-Stätte eines neuen Geistes. Handwerk und rationelle Fertigung sind der Dreh- und Angelpunkt des Dresdner Werkstattgedankens - eine fortschrittliche Intention, die Grete Wendt schon durch ihren Vater Albert verinnerlicht hatte. In Hellerau arbeitet sie nun im Umfeld der großen Geister der Moderne, darunter Richard Riemerschmid.
Ein neues fesselndes Aufgabengebiet erschließt sich die junge Frau im Sommer 1911 in München. Hier ist sie auf Empfehlung Karl Schmidts Mitarbeiterin des Künstlerausschusses der 'Bayrischen Gewerbeschau 1912'. Als Mittlerin zwischen Künstlern und Gewerbetreibenden oder Fabrikanten erstellt und bearbeitet sie zahlreiche Entwürfe für unterschiedlichste Materialien, besucht verschiedenste Werkstätten und Fabrikbereiche. Doch dem Holz bleibt Grete Wendt verbunden. Zunächst zeichnerisch nähert sie sich der figürlichen Gestalt, bevor der geliebte Werkstoff Form annimmt. So entsteht in ihrer Münchner Zeit wunderbaren Schaffens unter anderem ein vielbeachteter gedrechselter Ringleuchter - gekrönt von einem Reigen lichtertragender Engel. "Die Ausführung meiner figürlichen Arbeiten für die Ausstellung wurde dem Drechslermeister Gebhard Heinz in Waal übergeben, in dessen Werkstatt ich die richtige Formgebung der Figuren auch zeitweise überwachte", vermerkt Grete Wendt.
Mit neuen Erkenntnissen und Studien zur süddeutschen Bauernmalerei im Gepäck reist die gereifte Gestalterin nach Abschluss der Bayrischen Gewerbeschau zurück nach Grünhainichen. Eigentlich, um nur kurz zu verweilen - sie hatte sich für eine Anstellung in Berlin beworben. Der Erfolg ihrer Entwürfe hält sie jedoch im Heimatort. Unzählige Aufträge liegen vor, die umgehend bearbeitet werden wollen.
1913 beteiligt sich Grete Wendt an einem Wettbewerb des Landesvereins Sächsischer Heimatschutz für 'Gute Reiseandenken' und gewinnt den zweiten Preis. Ihre Figurengruppe 'Beerenkinder' in bemalter Spanschachtel erntet begeisterten Beifall. Ein Jahrhundertentwurf! Noch mit Brettchenarmen versehen, aber ansonsten schon typisch 'Wendt', erobern die drei kleinen Erzgebirger die Herzen im Sturm. Nachdem Aufnahmen der prämierten Werke in zahlreichen Zeitschriften erscheinen, gehen dringende Bestellungen - hauptsächlich von figürlichen Holzarbeiten - bei Grete Wendt ein. Einer der ersten und dann auch treuesten Auftraggeber ist und bleibt der Landesverein Sächsischer Heimatschutz.
Nun persönlich mit der Fertigung betraut, wächst bei Grete Wendt der Wunsch nach Selbstständigkeit. Noch steht keine eigene Werkstatt zur Verfügung. Gute Heimarbeiter und Drechsler werken unter ihrer Anleitung. Bemalt wird persönlich - mit Unterstützung einiger Hilfskräfte in der elterlichen Wohnung. Bergmänner gesellen sich nach dem Vorbild eines bereits 1912 für das Freiberger Bergfest gefertigten Musters zu den bisherigen Entwürfen. Grete Wendt: "Um diese Figuren ausdrucksvoller und bewegter zu gestalten, band ich mich bei der Herstellung nicht mehr an eine Achse, die sich bei einfacher Anwendung des Drehkörpers ergibt, sondern ich benutzte für eine Figur mehrere Drehkörper."
Trotz immer umfangreicherer Bestellungen figürlicher Arbeiten entstehen nebenher noch architektonische Modelle (Dorfanlagen, Einzelhäuser), die von der Verkehrsausstellung in Berlin und von verschiedenen staatlichen wie privaten Sammlungen angekauft werden.
Frühjahr 1914: Einladung zur Teilnahme an der Werkbundausstellung in Köln. Diese wird mit neuen Erzeugnissen reichlich beschickt - unter anderem mit Figuren, gedrechselten Dosen, Leuchtern und Puppenstuben. Obwohl die Ausstellung infolge des Kriegsausbruchs vorzeitig endet, kann sie von Grete Wendt erfolgreich zum Aufbau geschäftlicher Verbindungen genutzt werden. Neue Aufträge verhindert jedoch der Kriegsbeginn. Was tun? Grete Wendt kennt kein Innehalten: Entwürfe für den Innenausbau eines Militärgenesungsheimes folgen. Gemeinsam mit ihrer Studienfreundin Margarete - Grete - Kühn nimmt sie an einem Wettbewerb zur Gestaltung von Kriegsgrabmalen der sächsischen Regierung teil. Kurzentschlossen siedelt Grete Kühn nach Grünhainichen über, denn die gemeinsame Arbeit hat Erfolg. Nach Präsentationen - unter anderem in einer deutschösterreichischen Wanderausstellung - und Presseberichten ist die Nachfrage groß. Mehrere Tischler und Holzschnitzer werden mit der technischen Ausführung der Grabmale beschäftigt. Auch das eigentliche Sortiment der kleinen Arbeitsgemeinschaft - Spanschachteln, Truhen, Kästen und besonders die Figuren – ist wieder zunehmend gefragt.
Gegen Ende des Jahres 1914 formt Grete Wendt in unverkennbarer Handschrift aus dem Engelreigen des in München entworfenen Ringleuchters einen Friedensboten - mit weißem Kleid und weißem Sternendekor auf grünen Flügeln. "Vor dem ersten Kriegsweihnachten wandte ich mich wieder dem figürlichen Gebiet zu und machte einen kindlichen Weihnachtsengel als Kerzenträger, um ihn meinem Bruder ins Feld zu schicken", wird sie später dazu schreiben. Zusammen mit lieben Zeilen geht der Lichterengel am 28. November 1914 als Weihnachtspost zu Bruder Johannes an die Front: "Lieber Hans, ich sende Dir viele herzliche Weihnachtsgrüße und auch einen kleinen Weihnachtsengel und ich wünsche, dass er Dich zum Weihnachtsabend an daheim und an die Angehörigen erinnert, die alle am Heiligabend Eurer so besonders gedenken …"
Der von Anfang an gefragte Überbringer weihnachtlicher Wünsche trägt heute seine erste Katalognummerierung im Namen: '28er Engel'. Seine Formensprache sollte die Grünhainichener Figurenwelt nachhaltig prägen. Grete Wendt: "Der Formgebung dieses Engels legte ich wieder die schon früher erprobte Art der Herstellung zugrunde und erreichte damit bei klarer Form und einfacher Technik die erstrebte Kindlichkeit im Ausdruck."Das Credo ihres Schaffens!
1915 fasst Grete Wendt - tatkräftig unterstützt von Vater Albert - schließlich den Entschluss, ein am Berghang inmitten des Heimatortes gelegenes, altes Spielwaren-Verleger- und Versandhaus zu erwerben. Um 1830 im erzgebirgischen Fachwerkstil erbaut, ab 1849 viele Jahre Sitz der Firma Carl Weber, erhält es nun ein zweckentsprechendes Innenleben. 'Pap Wendt' kümmert sich nach Kräften um die finanzielle und maschinelle Ausstattung, die Gestaltung der Arbeitsräume. Der langersehnten Firmengründung steht nichts mehr im Wege.
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