Wendt und Kühn lässt Blumen sprechen
Wohl kaum eine andere Produktgruppe verkörpert die Botschaft von Grete Wendts Lebenswerk so anschaulich wie die Blumenkinder: Natürlichkeit, Güte und Geborgenheit, die Freude unbeschwerter Kindertage, die Harmonie von Mensch und Natur. Gehen Sie auf eine Zeitreise in die Welt der Blumenkinder, die uns heute genauso berührt wie 1929.
Grete Wendt liebte Blumen. Besonders die einfachen, zarten, die auf Feldern und Wiesen wachsen. Außerdem genoss sie es, durch den großen Garten hinter der Werkstatt zu streifen, der traumhaft angelegt war. Rote Pfingstrosen standen dort, dahinter wuchsen gelbe Lilien, verschiedene Stauden, später auch zwei Rosenbüsche - gepflanzt anlässlich der Geburt der Zwillinge von Olly Wendt 1930. Sogar einen eigenen Gärtner gab es, der sich um die Blumen kümmerte. Grete Wendt hatte immer ein Körbchen dabei, wenn sie durch den Garten oder über die Wiesen und Felder lief. Nie kam sie ohne Blumen zurück, die sie dann liebevoll in Vasen und Krügen arrangierte - oder ihren Mitarbeitern schenkte. Auch Olly Wendt teilte diese Liebe zur Natur. Sie sagte einmal: „Gehen Sie mit offenen Augen über die Wiesen. Sie werden immer etwas finden.“
Beide Frauen arbeiteten bei den Entwürfen oft Hand in Hand. Ihre Lieblingsblumen waren Margeriten - und so ist es nicht verwunderlich, dass das erste Blumenkind, das 1929 das Licht der Welt erblickte und die Artikelnummer 1 in der Gruppe der Blumenkinder trägt, das Mädchen mit der Margerite war. Im Katalognachtrag von 1933/34 sind die ersten sechs Blumenkinder abgebildet, die bis heute unverändert und ohne Unterbrechung im Sortiment der Grünhainichener Werkstätten erscheinen. Es sind die Frühlingskinder, die stolz ihre großen Blüten vor sich hertragen: Margerite und Schlüsselblume, Glockenblume und Märzenbecher, Maiglöckchen und Schneeglöckchen. In den Jahren bis 1937 folgten ihnen weitere Kinder, die auch mit Sommer- und Herbstblumen Freude bringen. Auffällig ist, dass die Blüten überdimensional groß sind. Damit stilisierte Grete Wendt sie zu etwas Bedeutungsvollem, Symbolträchtigem. Die Kinder haben die Blumen nicht einfach nur gepflückt, sondern sie verschenken sie. Eine glückliche Tätigkeit. Und dieses Glück sieht man ihnen an. Es ist ihnen förmlich ins Gesicht geschrieben. Es spiegelt sich in ihren leuchtenden Augen, den fröhlichen Zöpfchen und bunten Hüten, dem beschwingten Schritt, den hübsch verzierten Kleidern.
Kein Blumenkind ist wie das andere. Jedes ist einzigartig, liebevoll als Individuum gestaltet - mit eigenem Duktus, eigener Körpersprache und charakteristischer Kleidung. Es macht Spaß, genau hinzuschauen und die vielen liebevollen Details zu entdecken, mit denen Grete Wendt jedem Blumenkind seine Persönlichkeit verlieh: die kleine Blütenborte am Kleidersaum des Kleeblattkindes, das hübsche Muster auf dem Häubchen des Mädchens mit Glockenblume, die Ringelmütze beim Jungen mit Mohn, das Vichykaro-Röckchen und die blauen Schleifchen im Haar des Mädchens mit Stiefmütterchen und die weißen Tupfen auf dem Kleid des Sonnenblumenmädchens.
Detailverliebtheit bezaubert auch bei den Blüten. Was für eine Farbenfreude, welche gestalterische Pracht! Auch hier ließ Grete Wendt ihr ganzes Können, ihre ganze Beobachtungsgabe einfließen, um sie so naturgetreu wie möglich zu gestalten. Man mag kaum glauben, dass die Blüten aus Holz sind, so echt und natürlich sehen sie aus. Um das zu erreichen, machte Grete Wendt genaue Naturstudien und unzählige Handskizzen, um sich jeder einzelnen Blüte zu nähern und das Geheimnis ihrer Formensprache zu ergründen. Dann tüftelte sie an technischen Möglichkeiten, die Natur so detailgetreu wie möglich nachzuempfinden. Eines der Geheimnisse: Die hauchdünnen Blütenblättchen werden von Holzleisten abgehobelt, deren Querschnitt die Form des Blattes aufweist. Vorher werden die Stangen angefeuchtet, damit sie schön geschmeidig werden. Durch das Hobeln quer zur Faser können die Blättchen hauchdünn abgetragen werden, weniger als einen halben Millimeter dick. Werden sie dann als Kelch- oder Stielblätter aufgeklebt, neigen sie sich sanft nach oben - wie echte Blätter in der Natur. Besonders schön sieht man das an den Blütenblättern der Margerite oder an den geschwungenen Stielblättern der Buschwindrose - filigrane Wunderwerke aus hauchdünnem Holz. Selbst die Stiele der Blüten sind interessant. Sie sind aus Peddigrohr gefertigt, weil sich dieses Material gut spalten und unter Wärmeeinwirkung hervorragend biegen lässt. So entstehen zum Beispiel die gebogenen Stiele der Glockenblume und der Schlüsselblume.
Kleine Blumenkunde
Meister Roland Stanzel lädt in der Dreherei zu einer Biologiestunde ein: „Grete Wendt beobachtete die Natur ganz genau und versuchte dies mit den technischen Möglichkeiten der Holzbearbeitung detailgetreu wiederzugeben“, erklärt er. „Stiefmütterchen und Veilchen sitzen, wie sie zu sagen pflegte, auf fünf Stühlen, das heißt, jedes Blütenblatt hat eine eigene Kelchverbindung. Dafür wird der Holzkelch oben fünf Mal eingeschnitzt und die fünf winzigen Enden nach außen gebogen. Darauf werden dann die Blütenblätter geklebt.“
Wie sehr die Blumenkinder Grete Wendt am Herzen lagen, lässt sich auf wunderbare Weise anhand eines historischen Zeitungsartikels aus den Dresdner Neuesten Nachrichten vom 7. April 1935 nachvollziehen. Ein wertvolles historisches Zeitdokument, das aus erster Hand Einblicke in die feinen Zwischentöne des Lebens gibt: Wie Grete Wendt lachte, wie ihre Stimme klang, mit welcher Liebe sie von den Blumenkindern sprach. Der Report fragte sie: “Dürfen wir wohl mal sehen, wie die entstehen?“ „Aber natürlich“, sagte Grete Wendt mit ihrer klaren, herzlichen Stimme. Sie steht schlank und zierlich in ihrem weißen Mantel neben dem breiten, leuchtenden Schrank, […]. Man blickt auf ihre schmalen, festen Hände und weiß, woher die Blumenkinder kommen.“
Wie sie entstehen, das kann man heute noch unverändert in den Grünhainichener Werkstätten erleben. Vom Drechseln der vielen Einzelteile über das Leimen bis hin zum Bemalen wird alles noch genauso gefertigt wie eh und je. Eine besondere Spezialität sind die Hosenbeine der Jungen. Auch hier zeigt sich die gestalterische Vielfalt der Blumenkinder: Keine Hose gleicht der anderen. Ob Knickerbocker, kurze oder lange Hose, jeder Junge ist passend zur Jahreszeit gekleidet. Zu Beginn erscheinen die Beinkleider als unscheinbare Brettchen, aus denen paarweise die Hosenbeine herausgedrechselt werden. Nach einem Trennschnitt an den Fußsohlen werden die Fersen geformt, die Kniepartien modelliert und anschließend beide Beine verklebt. Durch Schleifen von Hand erhalten die Hosenbeine ihre Form. „Aus der Drehtechnik viel Bewegung herausholen“ sei das Geheimnis, wie Grete Wendt dem Reporter schon 1935 verriet.
Mit großer Liebe zum Detail werden die Blumenkinder auch in der Malerei bedacht. Kerstin Lorenz, Meisterin der Malereiwerkstatt, bestätigt: „Die Blumenkinder sind etwas Besonderes. Bei ihnen kommen außergewöhnlich viele Farben zum Einsatz. Jedes hat seinen eigenen Farbton. Und Rot ist nicht gleich Rot - selbst ähnliche Töne werden anders gemischt.“ Hohe Fingerfertigkeit verlangen die Verzierungen. So werden die Tupfen bei den gepunkteten Kleidern nicht mit dem Punktholz, sondern mit einem speziell zugeschnittenen Pinsel aufgemalt - „damit die Punkte schön aufgehen“, wie Meisterin Lorenz erklärt.
Mit ihrer Farbenfreude und Detailvielfalt erfreuen uns die Blumenkinder aus den Grünhainichener Werkstätten Wendt und Kühn seit über 80 Jahren in zeitloser Anmut und kindlicher Unbekümmertheit. Als stolze Blütenträger überbringen sie ihre Grüße zu Geburtstagen, zum Muttertag, zur Geburt und immer, wenn es gilt, anderen Menschen eine Freude zu bereiten. Als Blüten der Liebe - ganz im Sinne von Grete Wendt.
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